Yassir Eric erzählt...

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Ich habe ein Problem

Ich habe einen Anruf von einem Pfarrer bekommen. Er sagte: „Ich habe ein Problem.“ Ich kenne ihn schon seit Jahren, und so fragte ich: „Was ist dein Problem?“

„Seit ein paar Wochen kommen 20 Iraner und Afghanen in unsere Gemeinde.“

„Und was ist das Problem?“

„Du verstehst es nicht... die sind Muslime!“

„Ja, ich versteh das nicht. Erklär’s mir.“

„Sie kommen, und sie besuchen unseren Gottesdienst.“

„Hast du sie eingeladen?“

„Nein, sie kommen einfach.“

„Und was ist das Problem?“

„20! Im Gottesdienst?!? Jeden Sonntag?!? Sie sitzen dort. Ja. Und es ist noch schlimmer geworden – jetzt wollen sie sich taufen lassen.“

„Ich verstehe immer noch nicht, was das Problem ist.“

„Sie wollen sich taufen lassen!“

„Hast du je jemanden getauft in deinem Leben?“

„Ja ...“

„Dann taufe sie. Du bist kein Bäcker. Du bist ein Pfarrer. Das heißt, sie verlangen von dir, was doch eigentlich sowieso deine Aufgabe ist.“

Er und seine Gemeinde waren so verunsichert. Doch er sah ein, dass diese Menschen eine echte Bereicherung sein können.

Er rief mich wieder an und meinte: „Dann muss ich meine Predigt ändern – und die Gestaltung unseres Gottesdienstes.“

Genau! So soll es sein! Und ich begleitete ihn dabei. Ich schlug ihm vor: „Lass einfach die Iraner und Afghanen im Gottesdienst von ihrem Weg erzählen und wo sie aufgewachsen sind. Wir hier haben keine Ahnung wie es im Iran oder in Afghanistan ist.“

Also erzählte jeden Sonntag ein Migrant seine Geschichte. Und die Gemeindemitglieder fingen an, andere Menschen einzuladen mit dem Hinweis: „Hey, der Gottesdienst ist viel spannender geworden!“ Und so kamen auch mehr Deutsche in den Gottesdienst, weil da exotische Geschichten erzählt wurden, von jemandem, der drei Monate unterwegs oder bei den Taliban war. Das war eine sehr positive Veränderung in der Gemeinde!

Die älteren Menschen fingen an, sich für die Migranten zu interessieren. Für die Migranten war das etwas sehr Besonderes, weil ältere Menschen in der arabischen Kultur hoch angesehen sind. Es gibt ein arabisches Sprichwort: „Wenn du keinen älteren Menschen in deinem Umkreis hast, dann musst du auf den Markt gehen und dir einen kaufen.“ Das heißt, einen älteren Menschen in deiner Nähe zu haben, ist sehr wichtig. Alter wird geschätzt. Ältere Menschen haben Erfahrung. Sie haben länger gelebt. Und viele der älteren Menschen aus dieser Gemeinde, deren Kinder irgendwo weit weg wohnen und die nur selten besucht werden, haben plötzlich Migranten in ihrer Gemeinde, die sagen: „Papa“, „Oma“, „Opa“…

Yassir Eric
(Dr. theol., Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel, M.A. Ev. Theologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, M.A. Missiologie, Columbia International University). Er ist Theologe, Missiologe, ausgewiesen ...
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Bild von Brighton Pereira von unsplash

10.08.2020