Was ist eigentlich Gebet?

Was ist eigentlich Gebet?

Kürzlich erhielt ich eine E-Mail von einer alten Bekannten, die mich fragte: „Wie kommunizierst du mit Gott?“ Diese Frage war für mich zunächst gar nicht so leicht zu beantworten. Zwar kam mir unmittelbar das Stichwort ‚Gebet‘ in den Sinn, allerdings musste ich mich selbst fragen: Was ist eigentlich Gebet?

Von verschiedenen Missionaren und Missionarinnen, die zum Teil aktive oder ehemalige Studierende der AWM sind, erhalte ich regelmäßig Rundbriefe. Die allermeisten dieser Rundbriefe enden mit Gebetsanliegen, die häufig in zwei Kategorien unterteilt sind: Dank und Bitte. Tatsächlich stammt sogar das deutsche Wort ‚beten‘ vom althochdeutschen Wort für bitten. Dennoch täte man dem Gebet unrecht, würde man es lediglich auf Dank und Bitte reduzieren. Was macht also das Wesen des Gebets aus?

Interessant ist in diesem Zusammenhang das hebräische Wort für ‚beten‘, das im Alten Testament verwendet wird. Anders als im Deutschen handelt es sich im Hebräischen nämlich um ein reflexives Verb, einen Begriff also, der sich auf die betende Person selbst bezieht. Somit muss ein Gebet nach hebräischem Verständnis gar nicht zwangsläufig an Gott adressiert sein. Entscheidender ist vielmehr, dass die betende Person sich selbst in die bewusste Gegenwart Gottes begibt.

Folglich ist auch der Adressat des wohl bekanntesten jüdischen Gebets nicht etwa Gott, sondern das Volk Israel: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.“ (5. Mose 6,4)

An diesem Gebet wird außerdem deutlich, dass Beten keine Einbahnstraße ist. Nicht nur der Mensch kommuniziert hier mit Gott, sondern Gott auch mit dem Menschen. Das mag nicht immer auf akustische Weise geschehen. Vermutlich ist dies sogar äußerst selten der Fall. Dennoch erfahre ich gerade in letzter Zeit von vielen Freunden und Bekannten, dass trotz oder vielleicht sogar wegen zahlreicher Kontaktbeschränkungen die Gegenwart Gottes umso intensiver erlebt wird. Und auch ich selbst erlebe das so.

Gebete sind also nicht nur an Gott gerichtete Bitten oder Danksagungen. Vielmehr beginnt Gebet bereits viel früher, nämlich mit dem Bewusstsein von Gottes Gegenwart und dem Fokus auf ihn. In diesem Sinne formuliert auch Paulus im Römerbrief (14,8): „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“

Mich ermutigt das dazu, mein Leben bewusst als ein Gebet zu gestalten – nicht nur in Zeiten von Quarantäne und Kontaktsperre.

Magnus Großmann
(Ph.D., South African Theological Seminary) ist in Deutschland und Südafrika im Bereich Jugendarbeit aktiv, Mitglied der Forschungsgemeinschaft christlich-messianische Begegnung und zweiter Vorsitzender von ...
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01.06.2020